KI in der Bildung - Wie ChatGPT und Co die Schule verändern – Prof. Strasser über KI (und Lehrkräfte als Lernende)

ESSEN, 21. September 2023. Künstliche Intelligenz, so hieß es unlängst in einer Zukunftsstudie der Unternehmensberatung McKinsey, werde die Bildung so stark verändern wie keine andere Branche – was rollt da auf die Schulen zu im Kontext der „Digitalen Transformation im Unterricht“? Dr. Thomas Strasser ist Hochschulprofessor für Fremdsprachendidaktik und technologiegestütztes Lehren und Lernen an der Pädagogischen Hochschule Wien – er referiert am 26. September auf der Kongressmesse BILDUNG.DIG!TAL in Essen zum Thema „KI in der Bildung“. News4teachers sprachen mit ihm vorab.

KI in der Bildung - Digitale Transformation im Unterricht

News4teachers: Sie bezeichnen Digitalisierung häufig als „Buzzword“ oder als Plastikwort. Was meinen Sie damit?

Strasser: Das sage ich, weil im Kontext Schule und Bildung, immer von der „Digitalen Transformation im Unterricht“ gesprochen wird. Und das ist natürlich ein total wuchtiger Begriff, denn Schule, Hochschule und Bildung digital zu transformieren ist eine Herkulesaufgabe. Und es hilft nicht, wenn im Diskurs und auch in den Medien von der Digitalisierung gesprochen wird, ohne dass konkrete Anwendungsbeispiele genannt werden oder konkrete Überlegungen stattfinden. Ich kann nicht einfach schreiben „So gelingt die Digitalisierung in der Bildung“. Das ist einfach eine viel zu verallgemeinernde Aussage, unter der sich niemand etwas vorstellen kann. Gleichzeitig entwickeln sich die Begriffe Digitalität oder Digitalisierung ständig weiter. Vor fünf Jahren haben sie noch etwas anderes bedeutet als jetzt, im Zeitalter von „KI in der Bildung“. Und deshalb kritisiere ich den Einsatz dieser Begriffe hin und wieder.

News4teachers: Würden Sie sagen, Künstliche Intelligenz (KI) ist die Technik, die die Schulen gerade am meisten verändert, vielleicht sogar umkrempelt, im Rahmen der „KI in der Bildung“?

Strasser: Umkrempeln würde ich vielleicht noch nicht sagen, aber neudeutsch: Es triggert die Schulen momentan gewaltig. Im Schulbereich wird das Thema KI ja häufig mit ChatGPT gleichgesetzt, was momentan natürlich für große Aufruhr sorgt, weil man daran deutlich sieht, was schon alles möglich ist im Kontext der „KI in der Bildung“.

News4teachers: Was denken Sie denn, was wird sich verändern?

Strasser: Also mittel- bis kurzfristig gedacht bin ich schon fest davon überzeugt – und da gibt es auch schon einiges an Forschungen und empirischen Daten –, dass wir die Prüfungs- und Aufgabenformate im Kontext von „KI in der Bildung“ und ChatGPT adaptieren und neu denken müssen.

News4teachers: Haben Sie ein Beispiel, wie Sie in Ihrer Lehrtätigkeit damit umgehen?

Strasser: Ich mache gerne sogenannte Open-Book-Formate. Das bedeutet, meine Studierenden dürfen während bestimmten Prüfungen zum Beispiel einer Online-Prüfung, ChatGPT und all ihre Unterlagen verwenden. Ich hatte vor kurzem das Thema Grundlagen digitaler Medienbildung und in der Prüfung stelle ich beispielsweise solche Aufgaben: „Versuchen Sie, das Thema Künstliche Intelligenz aus der Sichtweise Ihres Faches kritisch zu reflektieren, indem Sie sich überlegen, wie Sie ein Tool wie Midjourney in Ihrem Englischunterricht einsetzen können, und wo möglicherweise die Grenzen sind.“ Das ist natürlich eine relativ komplexe Frage. Die können Sie tausendmal in ChatGPT eingeben, da werden sie eher allgemeine Antworten bekommen. Aber die Studierenden dürfen es nutzen, um zumindest ein bisschen in die richtige Richtung gelenkt zu werden.

News4teachers: Das heißt aber, ChatGPT komplett aus den Schulen zu verbannen, wird nicht funktionieren?

Strasser: Nein. Das ist kein Lösungsvorschlag. Problematisch ist, dass ChatGPT natürlich eine Art All-In-Wohlfühl-Bot ist, bei der ich einfach eine Frage eingebe und dann bereits gefiltert Infos kriege – ob die dann auch korrekt sind, sei dahingestellt. Das war beim Googeln noch anders, das musste man immerhin unterschiedliche Links und Quellen aufrufen, weiterlesen, vergleichen, kritisch prüfen. Das war schon ein bisschen mehr Oldschool-Recherche. Das fällt jetzt oftmals alles weg, was natürlich aufgefangen werden muss, vor allem wenn es um kritisch-reflexive Quellprüfung geht.

News4teachers: Wie müssen Schulen also reagieren?

Strasser: Ich glaube, Informationskompetenz wird zu einem immer wichtigeren Skill und sollte noch stärker in den Curricula vorkommen. Wir müssen unseren Schülerinnen und Schülern, aber auch den Studierenden beibringen, unterschiedliche Quellen zu checken, zu re-checken, möglicherweise zu überarbeiten, zu vergleichen und so weiter. Das ist sind ja die ureigensten Kompetenzen, die man generell beim Lernen braucht. Und darauf sollte jetzt noch mehr Augenmerk gelegt werden.

News4teachers: Sollte jede Lehrkraft mal ChatGPT benutzt haben?

Strasser: Ja. Wenigstens mit den Grundlagen sollte sich jede Lehrkraft auseinandersetzen. Das gilt natürlich vor allem auch für angehende Lehrkräfte. Da sind wir jetzt wieder beim Punkt „Digitale Transformation im Unterricht“. Meiner Meinung nach sollten Themen, die die „digitale Transformation“ betreffen, als Querschnitte in den Lehramtsstudien verankert sein.

News4teachers: Durch die neue Technik werden Lehrerinnen und Lehrer in gewisser Weise wieder selbst zu Lernenden. Wie können Schulen damit umgehen?

Strasser: Das ist natürlich, würde ich sagen, die schulentwicklerische Gretchenfrage: Wie nehme ich meine Lehrkräfte mit? Da gibt es natürlich viele Überlegungen. In Österreich wird es jetzt so gestaltet, dass es mittlerweile den Unterrichtsgegenstand „Digitale Grundbildung“ gibt. Das bedeutet, in der Sekundarstufe I haben alle österreichischen Schülerinnen und Schüler eine Wochenstunde Digitale Grundbildung, wo sie diese Themen KI, Social Media, Medienproduktion und so weiter lernen. Und unsere Lehrkräfte werden dahingehend vorbereitet, dass sie das jetzt als Lehramtsstudium studieren können, so wie sie Englisch oder Biologie studieren können. Und bis die ersten ausgebildeten Lehrkräfte an die Schulen kommen, werden hunderte österreichische Lehrerinnen und Lehrer in einem Lehrgang „Digitale Grundbildung“ fort- und weitergebildet, sodass sie dieses Fach unterrichten können. Also das ist jetzt sozusagen die institutionalisierte Strategie, dass wir im Rahmen von Lehrgängen und Lehramtsstudien unsere Lehrerinnen und Lehrer für ein Fach „Digitale Grundbildung“ fit machen. Das hat aber natürlich auch eine problematische Seite, denn jetzt gibt es eben ein konkretes Fach. Und da sagt vielleicht beispielsweise der Mathelehrer: Super, jetzt muss ich mich mit diesem Thema ja eigentlich nicht mehr auseinandersetzen. Das wäre aber ein fataler Ansatz, denn so etwas wie digitale Grundbildung und Digitalität muss meiner Meinung nach fachintegrativ gedacht werden. Also auch der Mathelehrer, die Biolehrerin, der Sportlehrer sollte das letztendlich unterrichten.

News4teachers: Und wenn es eben kein eigenes Fach gibt, wie in Deutschland?

Strasser: Es gibt unterschiedliche Studien und auch Erhebungen zum Thema: Wie hole ich Lehrkräfte im Kontext der „Digitalen Transformation im Unterricht“ ab? Und da gibt es zum Beispiel immer einen kleinsten gemeinsamen Nenner und das ist letztendlich immer der pädagogische Nutzen eines Werkzeugs oder eines digitalen Tools. Wenn ich Lehrkräfte davon überzeugen kann, dass der Einsatz eines Padlets zum Beispiel im Geografieunterricht von Vorteil für die Schülerinnen und Schüler sein kann, dann hole ich die Lehrer dahingehend ab. Ich muss Lehrkräfte also über dieses Narrativ des pädagogischen Potenzials abholen. Weniger über das Technische. Also zu sagen: Ja, wir haben jetzt die coolsten, tollsten iPads und das schnellste Internet, ist nicht der Schlüssel. Ich werde Lehrkräfte sehr wahrscheinlich nur über die Pädagogik und die Didaktik abholen können. Das zeigen jedenfalls unterschiedliche Studien.

News4teachers: An welche Studien denken Sie da vor allem?

Strasser: Es gibt einen sehr spannenden Beitrag zum Beispiel von Bettina Waffner. Sie hat sich in ihrer Arbeit angesehen, wie die Einstellung von Lehrkräften gegenüber „KI in der Bildung“ ist. Ihr Critical Review der internationalen Forschungsliteratur zeigt Digitalisierungsprozesse in der Schule aus Sicht der Lehrpersonen und die Implikationen für Fort- und Weiterbildungen. In Ihrem Beitrag (unter vielen weiteren) wird gezeigt, dass Lehrerinnen und Lehrer eine grundsätzlich positive Einstellung gegenüber digitalen Medien haben. Und das ist schonmal ziemlich interessant zu sehen, denn es räumt mit dem Klischee auf, dass Lehrer Fortschrittsverweigerer seien.

News4teachers: Was sollten Lehrerinnen und Lehrer idealerweise alles selbst können und wissen, um es dann auch an die Schülerinnen und Schüler weiterzugeben?

Strasser: Bei der Frage nach den digitalen Kompetenzen, da sind sich Wissenschaft und Praxis relativ einig, geht es immer wieder in unterschiedlichen Nuancen um Informationskompetenz. Also im Sinne von: Lehrende, egal welches Fach sie unterrichten, sollten grundsätzlich immer, wenn es um „Digitale Transformation im Unterricht“ geht, diese kritisch reflektierte Grundhaltung aufweisen – und sie natürlich auch weitergeben. Sie sollten mit den Schülerinnen und Schülern gemeinsam Quellen prüfen, versuchen herauszufinden, warum welche Quelle glaubwürdig ist. Was gibt es da für Indizien? Gleichzeitig geht es auch darum, mit den Schülerinnen und Schülern gemeinsam gewisse gesellschaftspolitische Themen zu diskutieren, also zu fragen, warum ist „KI in der Bildung“ so ein enorm wichtiges Thema. Wie können mir bestimmte Tools im Unterricht helfen? Das darf nicht auf den Informatikunterricht beschränkt sein. Also dieses Thema KI und Digitalität ist eigentlich kein technokratisches Thema mehr, sondern ein gesellschaftspolitisches. Und da kann ich schon von jeder Lehrkraft fordern, dass sie dieses Thema aufnimmt und im jeweiligen Fachspektrum kritisch thematisiert.

News4teachers: Über das Thema KI sprechen Sie auch am 26. September auf der Kongressmesse BILDUNG.DIG!TAL. Ihr Vortrag hat den Titel „Zurück in die Zukunft. Eine Bildungszeitreise mit der KI und dem Fluxkompensator“. Wieso haben Sie diesen Titel gewählt?

Strasser: Um nicht zu viel zu verraten. Der Fluxkompensator ist ja ein wichtiges technisches Gerät im Film „Zurück in die Zukunft“, das es ermöglicht, sowohl in die Vergangenheit als auch in die Zukunft zu reisen. Und so ähnlich sehe ich es mit der Debatte von neuen Technologien wie „KI in der Bildung“. Da ist schon viel dabei, was wir schon vor 15 oder 20 Jahren diskutiert haben, wenn es um technologische Innovationen geht. Aber es gibt gleichzeitig vieles, was wir uns noch genauer anschauen müssen und Fragen, die noch immer nicht beantwortet wurden. Deshalb auch der Blick in die Zukunft. Was ich damit sagen möchte, ist, auch wenn eine Technologie vermeintlich innovativ und als Gamechanger daherkommt, so gibt es bestimmte Fragestellungen in der Bildung, die schon vor Jahren diskutiert wurden – ohne, dass es die jeweilige Technologie bereits gab. Und das ist genau der springende Punkt meines Vortrags, dass wir uns möglicherweise auf die schon bestehenden Fragestellungen im Kontext „Digitale Transformation im Unterricht“ konzentrieren sollten, ohne dabei immer zu sehr den Fokus auf die Cutting-Edge-Technologie zu legen.

Laura Millmann, Agentur für Bildungsjournalismus, führte das Interview

Pressekontakt & Akkreditierung:

5CExpo GmbH
Wieland Kniffka
E-Mail: wieland.kniffka(at)5cexpo.de
Telefon: +49 361 7802 2964